Erinnern durch Schreiben

Lasst Personen sprechen …

Hineinversetzen in einzelne Personen der Turnstunde mit Fantasie und Kreativität, um so dem einzelnen Menschen mit seinen Gefühlen, Befürchtungen, Sehnsüchten und Träumen fiktiv nachzuspüren.

Zum Beispiel Bertha Wertheim, Elsa Terhoch oder Lehrer Manfred Höxter.

Ein ganz normaler Tag. Turnstunde mit Lehrer Höxter. Aber etwas war anders, heute besuchte uns ein Fotograf. Lehrer Höxter sagte, wir sollen unsere besten Positionen einnehmen. Dabei waren meine Freundinnen und ich mit unseren Gedanken doch ganz woanders…

Zu meinen Freundinnen gehören: Lotte Her(t)z, 13 Jahre und die Älteste von unserer Gruppe, Anne Löwenberg, 12 Jahre und die Größte von uns, Maria Steinberg, 12 Jahre und die Klügste der Gruppe und ich… Bertha Wertheim: 11 Jahre und die Jüngste unserer Truppe. Wir alle haben einen Traum. Wir möchten Fußball spielen! Andere Mädchen in unserem Alter sind interessiert an Mode und nähen ihren Puppen Kleidung. Doch wir sind anders. Wir möchten das schaffen, was vor uns schon Lotte Specht geschafft hat. Einen eigenen Mädchen-Fußball-Club gründen. Vor zwei Jahren, also im Jahr 1930, gründete Lotte Specht den ersten „ Damen-Fußball-Club “ in Frankfurt. Dieser musste aufgrund massiver Proteste allerdings ein Jahr später schon aufgelöst werden. Wir möchten, dass Frauenfußball wieder erwünscht ist. Auch wir Mädchen können Fußball spielen! Warum sollten dann nicht auch wir erfolgreich sein?

Maria, Lotte, Anne und ich treffen uns auch heute Nachmittag wieder und spielen Fußball. Dafür treffen wir uns hinter unserem Bauernhof auf einem großen Feld. Selbst Erich Her(t)z, den Bruder von Lotte, besiegen wir jedes Mal aufs Neue. Auch er glaubt an uns und unseren Traum. Eine eigene Mädchenfußballmannschaft. Wir möchten noch weitere Mädchen von unserer Idee überzeugen. Wir werden es allen beweisen. Besonders den Jungs und denen, die nicht an uns und unseren Traum glauben! Bald werden wir erfolgreich sein und unser Traum einer eigenen Mädchenfußballmannschaft wird in Erfüllung gehen … ganz bald.

Bertha WertheimLeonie und Lisa-Marie, Schülerinnen der Einführungsphase des FSG Lünen
Mein Name ist Elsa Terhoch und ich bin sieben Jahre alt. Ich gehe mit meinen beiden Schwestern Ilse Lina und Lore auf die jüdische Schule. Heute habe ich beschlossen, mit dem Schreiben eines Tagebuchs zu beginnen, denn es ist etwas Schönes passiert.

Wir waren wie immer in der Schule und dann sollten wir mit unserem Lehrer Manfred Höxter nach draußen gehen. Wir begannen ganz unerwartet eine Turnstunde. Schließlich sollten wir alle eine bestimmte Position einnehmen und dann wurde der schöne Augenblick mit einem Foto festgehalten. Heute war ein schöner Tag, denn wir haben mal etwas anderes gemacht und uns wurde Hoffnung geschenkt. Hoffnung darauf, dass immer etwas Tolles passieren kann, vor allem dann, wenn man nie damit rechnen würde. Ich hoffe, wir wiederholen es eines Tages noch einmal. Außerdem wurde mir mit der Turnstunde Hoffnung darauf geschenkt, dass ich eines Tages einmal reiten kann. Das wünsche ich mir schon immer, aber wir haben leider kein Geld dafür. Eigentlich haben wir für kaum etwas Geld. Es sind schwere Zeiten hier in Lünen. Pferde sind so tolle und hübsche Tiere. Ich kann sie leider immer nur von weitem beobachten. Aber irgendwann wird mein Traum in Erfüllung gehen.

Als meine Schwestern und ich heute nach Hause kamen, gab es etwas Leckeres zu essen. Es gab mal wieder Fleisch, denn Fleisch gibt es immer nur, wenn noch genügend Geld da ist. Wir als Juden essen auch nur koscheres Fleisch, das sind Tiere, die zweigespaltene Hufe haben und Wiederkäuer sind. Alle anderen Tiere sind für uns verboten. In der jüdischen Schule lernen wir etwas über die Heiligkeit. Die Speisegesetze erziehen uns zur Herrschaft über unsere Gelüste, sie gewöhnen uns daran, aufkeimende Wünsche zu unterdrücken, ebenso auch die Neigung, die Freude am Essen und Trinken als Zweck des menschlichen Daseins anzusehen. Das Fleisch muss geschächtet werden, denn es gilt das Verbot des Blutgenusses, das bedeutet, dass das Blut vor dem Verzehr aus dem Tier geflossen sein muss. Es gibt einen Schochet hier in Lünen.

Meine Eltern haben mir erklärt, wie das Schächten passiert und wie ich das gehört habe, ist mir der Hunger auf Fleisch vergangen. Die Tiere tun mir so leid, denn ihnen werden einfach die Halsschlagader, Luftröhre und Speiseröhre durchgeschnitten.

Ich habe für mich entschieden, dass ich nur noch Fleisch esse, wenn ich es wirklich benötige und hinzu kommt, dass wir es uns sowieso kaum leisten können. Meine Eltern sollten das Geld besser für mich zum Reiten sparen.

Elsa Terhoch am 02.09.1932 (Lünen)Celina, Schülerin der Einführungsphase FSG Lünen
Ich bin seit einem Jahr in Lünen. Bin von Bochum versetzt worden. Übe in dieser Stadt zusätzlich das Amt des Kantors und des Predigers aus. Unterrichte meine Schüler hauptsächlich in hebräischer und deutscher Sprache, sowie im Rechnen.

Schaut euch meine Schüler auf unserem Foto an. Ich finde, sie sind so selbstbewusst und man kann in ihrer Mimik, in ihren Gesten und auch Posen sehen, dass sie wahrlich schon kleine Persönlichkeiten darstellen.

Und das in diesen bewegten Zeiten. Armut und Hunger greifen immer mehr um sich.

In unserer Hauptstadt Berlin – so habe ich gehört – hat man grundlos jüdische Mitbürger zusammengeschlagen. Was ist, wenn dieser Mob auch in unserer Stadt Gewalt gegen uns anwendet? Ich habe ein wenig Angst und Sorge um meine Schüler.

Und vor allem habe ich Angst vor diesen Rechtsradikalen, die aus den Unsicherheiten der Bevölkerung ihr eigenes Süppchen brauen wollen. Beschwören den starken Mann und geben den Juden die Schuld an der Misere. Vergessen darüber ganz, dass einige Onkel von mir auch im ersten Weltkrieg für Deutschland ihre Pflicht und Schuldigkeit getan haben. Bis zum bitteren Soldatentod.

Was mich persönlich betrifft?

Da ich in dieser Stadt Lünen natürlich noch keine festen und tiefen Wurzeln geschlagen habe, könnte ich mir vorstellen, dass ich Lünen, ja ganz Deutschland notgedrungen verlassen werde und z.B. in Lateinamerika einen Neustart versuchen werde. Dann kann ich einerseits meine Neugier auf andere Ländern und Menschen stillen und andererseits bin ich in der Ferne sicher vor den Nationalsozialisten und kann als Jude aufrecht leben.

Lehrer Manfred Höxter (1932)Martin Loer, Lehrer am FSG Lünen